Wenn ich in dieser Studierendenstadt Tübingen ausgehe, auf Veranstaltungen, die mich ansprechen, sehe ich immer nur scheinbar ‚ältere‘ Männer als ich, breiter und ‚männlicher‘ als ich. Ich kann mich mit ihnen kaum identifizieren. Scheiße Mann, wo sind die skinny Nerds? Wo sind diese anderen schmalen Jungs aus der Schule hin? Haben sie sich alle in diese Kerle mit breiten, eckigen Kreuzen und fülligen Armen verwandelt? Hab ich das Memo nicht gekriegt? Bin ich Junge geblieben? Muss ich immer erst auf einen Hackerkongress fahren, um mich mal nicht anders zu fühlen?
Ich habe den Transformationsmoment der Altersgenossen verpasst, der muss in meinen ersten Semestern stattgefunden haben – in denen ich viel zu viel alleine war und in meinen Fächern fast nur mit jungen Frauen zusammensaß.
Mit wem ich mich identifizieren kann, das sind: Frauen! Obwohl die Proportionen anders sind, fühle ich mich ihnen staturverwandter als den meisten gleichalten Männern, die mir begegnen. Nicht zuletzt auch aus meiner eigenen Betroffenheit interessiere ich mich für Gendertheorien – und die Genderforschung hat mir schon viel gegeben. Aber letztlich ist das für mich nichts Leichtes. Vor allem, wenn man da niemanden hat, der einem sagt: Ich mag das, wie Du bist – ich find Dich vielleicht sogar attraktiv! Und es mal nicht nur beim Sagen bliebe. Ich würde einfach gern körperlich wo dazugehören. Einfach so, ohne Theoriezurechtlegung, dass die körperlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern geringer und fluider sind, als innerhalb der zwei willkürlichen Gruppen zueinander. Das ist ja wunderbar, aber es hilft mir hier nicht, denn ganz bedeutend geht es doch um eines: Attraktivität. Und wie über Attraktivität kulturell gedacht wird.
Schaut mal: Ich finde mich eigentlich persönlich hübsch. Ich finde mich ok. Aber im Kontakt bekomme ich immer angedeutet: Du bist nicht ok, etwas ist anders an Dir. Und das mit der Attraktivität haut bei Dir auch nicht hin. Über die Attraktivität bestimme nicht ich, die bestimmen die anderen.
Was bei Frauen Fett ausmacht, muss bei Männern Muskelgewebe sein. Warum? Das ist doch nicht gerecht! Und das mit den Muckis haut bei mir auch nicht so derbe hin. Ich bin fit, ich bin stark, aber das reicht nicht. Man muss es ja bei uns deutlich sehen können, sonst gilt es nicht.
Ich werde nicht dicker und ich werde nicht viel muskulöser ohne zu cheaten. Und Scholli, wäre ich als Frau nach gegenwärtigem Schönheitsideal attraktiv, hätte ich noch dazu die rechten Rundungen!
Noch mal: Ich gefalle mir! Ich gefalle mir in meinem Dazwischen-Sein. Es symbolisiert für mich auch direkt meine psycho-emotionale Nähe zur ‚Weiblichkeit‘. Ich verstehe das so, dass das Innere bei mir nach außen wirkt. Dennoch finde ich es ok, ein Mann zu sein. Ich habe kein Problem mit meinem Sexus, meiner Identität als Cis-Mann. Das begreife ich zwar als größtenteils kulturell und so behandele ich es tatsächlich auch, aber ich fühle mich in meinem Inneren nicht im falschen Körper.
Aber weil mir andere das Gefühl geben, nicht dazuzugehören, geht mein Wunsch einer Zugehörigkeit zu einer akzeptierten Gruppe mittlerweile so weit, dass ich mir trotzdem immer öfter den anderen Körper wünsche. Denn der erscheint mir näher an meinem Körpergefühl und Selbstverständnis als das erwartete Ideal eines Männerkörpers.
Das Gefühl des Nichtdazugehörens zum großen Spiel geben mir beide primäre Gender durch subtile Zurückweisung, Nichtinteresse und ihrer nicht bös gemeinten Einschätzung, dass ich fünf Jahre jünger sein müsse, als ich es mit Mitte 20 tatsächlich bin. (Das muss ich extra deutlich betonen: Als Mann erfährt man damit weit drastischere Konsequenzen als als Frau.) Spart euch bitte die Beteuerung, welch ein Glück das in späteren Jahren für mich bedeutet.
Vor einer Weile habe ich festgestellt: Mit mehrwöchigem Bart spüre ich mal nicht nur neugierige Blicke von Schulmädchen auf mir. Das ist etwas ganz, ganz Tolles, wenn man das sonst nicht kennt. Aber ich bin darüber in Konflikt mit mir. Ich mag mich niedlich! Ich mag mich rasiert, und liebe es, meine weichen Wangen zu streicheln. Und ich mag die androgyne Seite meiner Gesichtszüge. Dieser Bart, der mir natürlich wächst, gibt mir eine eindeutige Zuordnung, die sozial und sexuell erwünscht ist. Er gibt mir einerseits ersehnte leibliche Aufmerksamkeit; doch er ist eine Schiene, die mich in ein Gleisbett zwängt. Er stört, oder zumindest beeinflusst er meine Gender-Selbstidentifikation in erheblichem Maß. Für mich ist das ein sehr sensibles Thema.
Ich sehe darin für mich auch eine mystische Ebene: Ich sehe so jung aus, weil da Dinge noch nicht geschehen sind. Zugleich Reifeanzeige und Keim einer Hoffnung, dass mit der Zeit gewisse Dinge geschehen können. – Das ist nicht, wie ich rational darüber nachdenke, aber ich nehme den Gedanken in mir wahr, diese Ebene liegt bei mir im unterschwelligen Bewusstsein.
Vielleicht bin ich ja auch nur noch nicht so abgenutzt. Vielleicht habe ich eine überaus gesunde Veranlagung für eine lange biologische Jugend. Aber dafür werde ich von allen bestraft.
Ich wünsche mir, mit meiner Körper-Nonkonformität nicht zwischen die einzigen zwei akzeptierten Töpfe fallen zu müssen. Ich habe meinen Körper nicht verantwortet. Das ist, wie ich bin.
Hallo Maximilian,
Dein Beitrag spricht mich sehr an. Vieles davon kann ich nachvollziehen. Männer müssen immer stark, muskulös, breitschultrig sein und etwas leisten (Geschlechtsrollenstereotyp). Das macht auf Dauer krank (Stresshormone, Burn out, …).
Wenn wir anders sind, werden wir ausgeschlossen. Das kenne ich gut und habe es schon als Kind erlebt: Beim Fußball wurde ich als Hochdeutscher auf einem schwäbischen Dorf immer von den anderen Jungs getreten. Kam ich dann weinend heim, gab mir meine Mutter rechts und links eine Ohrfeige und sagte „So, und jetzt geh zurück und wehr Dich“. da habe ich lieber mit Birgit 3 Häuser weiter mit Puppen gespielt, bis wir bei Doktorspielen erwischt wurden und uns der Kontakt verboten wurde. Danach bin ich allein ins Wäldchen gegangen.
In der Jugend waren meine besten Freunde 3 Mädchen, wir haben uns immer zu viert getroffen. Mit den Jungs konnte ich nie viel anfangen. Wie Du fühle ich mich mit der psycho-emotionalen Seite der „Weiblichkeit“ sehr nahe und verbunden.
Wenn man für seine Anders-Sein ausgeschlossen wird, Druck ausgeübt wird, um einen in das Rollenschema zu pressen, dann hält man umso mehr daran fest, betont seine Individualität – und und setzt eine Maske von Stärke und Kompetenz auf, um den zarten, verletzlichen inneren Kern zu schützen.
Ich kann verstehen, dass Du Dich rasiert magst, die androgyne Seite Deiner Gesichtszüge – und dass Du es liebst , Deine weichen Wangen zu streicheln. Ein Mittelweg ist für mich ein Kinnbart mit rasierten Wangen.
Du wirkst jung, und das ist gut so. Bleib, wie Du bist. Mir geht es genauso: Ich fühle mich als Jugendlicher von 53 Jahren. So bleiben wir jung.
Du bist, wie Du bist, und das ist gut so und macht Dich schön. In Deinem Radio-Interview mit Florian hast Du eine helle, weiche und sanfte Stimme, die am Schluss stellenweise bis in einen sehr angenehmen, warmen Bassbereich führt. Du bist mir sympathisch. Ich mag Dich.
Ganz liebe Grüße
Dierk
Danke für diesen tollen Artikel. Schön zu sehen, dass es nicht nur mir so geht.
Habe mich in diesem Artikel 1:1 wieder gefunden.