Offener Brief an „Funk“: Souveräne Plattformstrategie: Plädoyer für eine Mediathekinitiative

Hallo Funk,
ich bin bloß ein Konsument und falle auch schon fast aus dem Altersfokus Ihres Angebotes, dennoch möchte ich Ihnen ein paar strategische Überlegungen mitteilen, die mich bezüglich Funk seit dessen Start irritieren.
Letzte Woche habe ich bei „Was mit Medien“ das aufschlussreiche Gespräch mit einer Funk-Formatentwicklerin gehört, was für mich der letzte Anlass gewesen ist, Ihnen zu schreiben.

Das Credo von Funk, die jungen Leute abzuholen auf den Plattformen, auf denen sie ohnehin sind, halte ich für problematisch. Problematisch insofern, als dass diese Plattformen auch dauerhaft den primären Ausspielweg darstellen. Formate werden für YouTube, Instagram und neuerdings TikTok entwickelt und dabei an die Mechanismen und sozialen Milieus der Netzwerke angepasst. Das wäre durchaus verständlich und naheliegend für eine klassische Marketingkampagne eines Unternehmens.

Aber als öffentlich-rechtliches Angebot sollten Sie Ihr eigenes Medium definieren. Statt die Quasi-Monopolisten durch öffentlich-rechtlich finanzierte Qualitätsinhalte weiter zu stützen, sollte ein ÖR-Angebot meiner Meinung nach seine eigene Plattform sein.
Bestrebungen hinsichtlich der europäischen ‚Supermediathek‘ sind am Rascheln, trotzdem meine ich, Funk verspielt hier etwas dabei, nicht selbst die Initiative zu ergreifen.

Konkreter: Funk.net ist momentan recht basal. Der Seite fehlt eine Accountfunktion, es fehlen Kommentare und dergleichen Weiteres. Außerdem halte ich persönlich das stilistische Anbiedern an Netflix und YouTube für kontraproduktiv und unglücklich (genauso wie bei der neuen ARD Mediathek), aber das ist noch das kleinste Problem. Die Mobilapp (ich kann nur für Android sprechen) ist nur ein glorifiziertes Webview und damit vergleichbar unangenehm zu nutzen wie die alte KiKa-App, kann keine Links zu Videos teilen, denn die Funktion ist kaputt und, naja, ist eben nicht nativ, mit all den Nachteilen, die das mit sich bringt.

Was ich von Funk erwarten würde: Ein selbstbewusstes Auftreten als eigene Plattform. Kampagnen mit Snippets aus den eigenen Formaten auf den bei jungen Menschen beliebten sozialen Netzwerken ausspielen, das muss wohl sein. An erster Stelle aber der primäre Distributionsweg über die eigene Plattform: Funk.net mit Accountsystem, Kommentaren und was dazu gehört. Technisch schlage ich das Aufgreifen des standardisierten Protokolls ActivityPub vor, auf dem das wachsende Fediverse basiert, eine Sphäre dezentraler freier sozialer Netzwerke, die miteinander sprechen können, darunter etwa das populäre Mastodon und PeerTube.

Damit schlagen Sie mehrere strategische Fliegen mit einer veganen Klappe:
1. Stärkung einer eigenen Plattform, die unabhängig von erratischen intransparenten Algorithmenänderungen der etablierten Player fungiert. Sie bestimmen die Algorithmen, Sie erhalten die bestmöglichen Statistiken und Metriken, wie sie nur ein Selbstbetreiber erhalten kann. Sie setzen die Akzente und Sie bestimmen geltende neue mediale Trends innerhalb Ihres Angebot-Kosmos’.

2. Sie setzen offensiv gegen die kommerziellen Platzhirsche mit bekanntermaßen problematischen Inhaltsparadigmen (so nenne ich das mal) ein öffentlich-rechtliches Gegenangebot in einem für die Zielgruppe angemessenem Medium. Dadurch wird die Reichweite der Platzhirsche geschwächt – und mittelbar greifen Sie damit die Meinungsführerschaft von deren Leuchtturm-Kreativen an und können in Ihrem Kosmos Gegenakzente setzen, die problematische Trends in den werbegetrieben Netzwerken ausbremsen. Das lässt sich meiner Meinung nach besser aus dem Standort eines dezidiert eigenen Angebots mit ausschließlich öffentlich-rechtlichen Inhalten des Formatbouqets heraus erreichen. – Eine Gegenöffentlichkeit darstellen, die dort frei von der performativen Netzwerkidentität, sozialen Mechanismen und plattformbestimmten Notwendigkeiten agiert, die auf YT, IG und TT herrschen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Erziehungseffekt, den es hat, wenn Sie junge Zielgruppen gegenwärtig darauf trainieren, ÖR-Angebote auf YT & Co. zu erwarten. Damit eröffnen Sie einen Teufelskreis der Abhängigkeit aus Gewohnheiten der heranwachsenden Zielgruppe, die ÖR-Marken langfristig nicht nur immensen Mehraufwand kosten wird, sondern auch das Abhängigkeitsverhältnis festzurrt, in dem der ÖRR niemals die stärkere Position innehaben kann. Damit diese Abkehr gelingt, ist ein Erfolg des eigenen Distributionskanals freilich Voraussetzung, aber ich meine, den hätten Sie zwischenzeitlich gewiss, wenn Sie ein solches Angebot wie beschrieben häppchenweise in den kommerziell getriebenen Netzwerken anteasern würden, um die Inhalte dann konsequent auf einem (besseren) funk.net und (besseren) Apps auszuspielen. Ich bin überzeugt, Ihre Formate haben mittlerweile eine solche Beliebtheit und damit Sogwirkung, dass ein solcher Plattformwechsel ohne immensen Aderlass möglich ist. Und anschließend geht es ohnehin nur noch aufwärts.

3. Durch das Aufbauen auf ActivityPub stärken und investieren Sie in ein freies und offenes Web. Mittelfristig dürfte das Fediverse zu einer gesamtgesellschaftlich relevanten medialen Öffentlichkeit heranwachsen (auch ohne Funk). Projekte wie PixelFed bilden die gängige Funktionalität von Instagram ab, Mastodon die von Twitter, PeerTube die von YouTube, Funkwhale erschließt eine dezentrale Audiosammlung und viele weitere Projekte mehr. Durch Integration und grundständigen technischen Aufbau des Angebots auf das Protokoll würde sich Funk nativ in ein wachsendes Ökosystem unabhängiger Netzwerke integrieren und wäre vorn bei einer richtungsentscheidenden Entwicklung für ein freies Web dabei. Dabei könnte Funk eigene Ideen in die Weiterentwicklung der Standards einbringen und mittelfristig auch direkt profitieren durch die Integration in ein Protokoll, das viele zukünftige Dienste unterstützen werden, was durch die sich hierdurch ergebende Interoperabilität wiederum verlockende Reichweiten in Aussicht stellt.

Der Ko-Initiator einer Entwicklerkonferenz Anfang Oktober zum ActivityPub-Standard hat sich bereits offen für einen Austausch mit Funk zur technischen Umsetzbarkeit geäußert. Den Entwickler*innen um ActivityPub geht es nicht um eigene unternehmerische Perspektiven, sondern wirklich um die Förderung des neuen abgesegneten Webstandards für ein dezentrales und demokratisches soziales Netz. Wenn ich Ihr Interesse wecken konnte, verbinde ich Sie gern mit weiteren Fürsprechern, die an den Möglichkeiten des Fediverse forschen.

Zum Ende dieser Zuschrift möchte ich aber noch einmal Ihre Aufmerksamkeit auf die grundsätzliche Problematik lenken: Indem Funk als ÖR-Angebot primär – und quasi exklusiv, weil die eigene Mediathek bisher eine untergeordnete Rolle spielt – die inhärent werbegetriebenen Netzwerke von Google, Facebook und anderen mit qualitativ hervorstechenden Inhalten bespielt, stärkt es diese De-facto-Monopolisten. Funk ist nicht nur gezwungen, nach den Regeln dieser Unternehmen zu spielen, sondern auch programmatisch Inhaltestrukturen und kreative Regeln nachzuahmen. Ein Freischwimmen wäre möglich durch eine Mediathek-Initiative, die durch den Sog der zwischenzeitlich gebildeten Kanal-Communitys schnell Popularität erfahren dürfte. Auf technischer Ebene bietet sich wie kein zweites das grundständige Setzen auf den ActivityPub-Webstandard an, denn damit erhalten Sie ein soziales Netzwerk frei Haus, das instanzübergreifend dezentral funktioniert und Inhalte von Funk in einer innovativen Weise nativ vernetzbar in das breitere Ökosystem zukunftsweisender freier Netzwerke integriert.

Die Bewegtbild-Medienlandschaft darf auch im Internet aus pluralistischen und dezentralen Trägermedien ohne Abhängigkeit von werbegetriebenen Großkonzernen bestehen. Das Ziel wäre für die Formatentwicklung und kreative Souveränität von Funk ein lohnenswertes.

Herzlich

Versendet per Mail

Nachtrag
Vier Wochen später habe ich diese vollkommen enttäuschende Antwort von Funk erhalten. Sie geht auf kaum einen meiner Punkte ein und speist mit Textbausteinen ab. Auf mein eigentliches Anliegen wird nicht eingegangen. Demnach ist meine Zuschrift direkt beim untersten Service stecken geblieben und nicht eskaliert worden. Umso wichtiger, dass ich meinen Text auch hier auf meinem Blog als offenen Brief publiziert habe. Es bleibt zu hoffen, dass doch noch eine verantwortliche Person auf diese medientheoretische Handlungsempfehlung stößt und sie so Anlass zur internen Diskussion werden kann.

vielen Dank für Ihre Nachricht und das Interesse an funk. Wir freuen uns stets über Feedback, denn durch konstruktive Anregung von außen können wir unser Angebot stetig optimieren. Im weiteren Verlauf möchten wir gerne auf einige ihrer Anregungen Bezug nehmen. funk, das Content-Netzwerk von ARD und ZDF, hat den Auftrag, junge Menschen mit öffentlich-rechtlichen Inhalten im Internet zu erreichen. Das Jugendangebot soll inhaltlich die Lebenswirklichkeit und die Interessen junger Menschen als Zielgruppe in den Mittelpunkt stellen und dadurch besonderen Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags leisten. Der Rundfunkstaatsvertrages gibt den Rahmen für funk vor: Dort ist klar formuliert, dass funk 14- bis 29-Jährige im Internet erreichen soll. Auch der Verbreitungsweg über Drittplattformen wird dort ermöglicht. Dies hat den einfachen Grund, dass unsere Zielgruppe ohnehin Plattformen wie YouTube, Instagram und Co. nutzt. Natürlich will funk niemanden zwingen, Drittplattformen zu nutzen. Daher sind alle Videos unserer Formate auch unabhängig von Drittplattformen in einem eigenen Player auf funk.net verfügbar. Wir würden uns freuen, wenn Sie funk – gerne auch kritisch – weiterhin verfolgen.

Nachtrag 20.10.2020
Neuerdings werden die Funk-Inhalte auch in den Mediatheken von ARD & ZDF gelistet. Das ist eine begrüßenswerte Entwicklung, da es die Formate zugänglicher macht für jene, denen Funk.net kein Begriff ist und gewisse native Bequemlichkeits-Features der Mediatheken von ARD & ZDF auch für Funk-Inhalte zugänglich macht. Ich hatte zuvor angenommen, dass die fehlende Integration gewollt ist und womöglich Zuständigkeitsstreits zwischen ARD & ZDF gegen die Aufnahme in die Sendermediatheken gesprochen hätten. Kurzum, diese Aufnahme ist erfreulich aus Gesichtspunkten der Zugänglichkeit des Angebots und kann womöglich bei einem dahingehenden Ausbau der Mediatheken eklatante Defizite wie Abofunktionen und Benachrichtigungen lösen, jedoch bliebt der Gegenstand meines oben formulierten Briefes davon unberührt: Solange der erklärte Hauptdistributionsweg YouTube ist, dort die Kommentardiskussionen stattfinden und auch Moderator*innen sich unentwegt und ausschließlich auf YouTube beziehen, solange Formate geradezu um die YouTube-Algorithmen und -Trends herum entwickelt werden, solange stärkt Funk werbegetriebene Plattformen und erzieht junge Zuschauer*innen, öffentlich-rechtliche Inhalte auf YouTube zu erwarten. Das ist strategisch eine riskante Pfadabhängigkeit für den deutschen ÖRR. Hinzu kommen meine weiterhin gültigen Punkte bezüglich der Chancen einer Integration in das freie Protokoll des Fediverse-Netzwerks, womit sich eine native Vernetzbarkeit in das breitere Ökosystem der wachsenden freien sozialen Netzwerke realisieren ließe, was Identitätsdienst, Diskussionsplattform, tiefe Integration in eine Vielzahl aufkommender neuer sozialer Dienste auf Basis des als Webstandard standardisierten Fediverse-Protokolls und souveräne Lenkung der Algorithmen und Plattformregeln mit sich brächte.

Nachtrag 31.03.2021
»“ARD und ZDF müssen versuchen, ein öffentlich-rechtliches Ökosystem zu schaffen“, sagt Leonhard Dobusch [Fernsehrat beim ZDF]. Dazu müsse man auch andere, gemeinnützige Angebote mitnehmen. Es brauche einen öffentlich-rechtlichen Netzwerkeffekt. Man tue alles dafür, damit es eine Alternative zu den bestehenden Medien-Infrastrukturen wie YouTube gebe, sagt Tanja Hüther. „Das geht nur mit einer eigenen Plattform, die dann auch eine gewisse Größe benötigt.“« – Aus dem DWDL-Artikel „ARD und ZDF bei YouTube: Das Prinzip Trial & Error“

Nachtrag 07.05.2021
Schaue das MaiLab-Video über Troll-Kommentare und finde die Gesamtsituation traurig: Sie moderieren kaum, weil sie keine Zeit dafür haben, aber abstellen wollen sie die Kommentarfunktion auch nicht, weil die Kommentare die Videos ja über den Algorithmus nach oben schieben… Dass das Format auf YouTube beheimatet ist, ist deren eigentliches Hauptproblem. Wenn sie eine eigene Video-Plattform hätten, könnten sie auch einfach besser moderieren: Shadowbans z.B. wären denkbar, oder konsequent Nutzoj blocken, Kommentare nach Schimpfwörtern oder Verschwörungstheoriebegriffen vorfiltern etc., aber so sind sie 100% auf das angewiesen, was ihnen YouTube als Moderationstools anbietet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.